Von Höhen und Tiefen

Wie in vielen anderen Sportarten liegen Freud und Leid beim Schach dicht beieinander. Diese Erfahrung machten wir auch auf dem Esslinger Schachopen. Wir, das sind Matthias Steinhart, Bastian Friedl, Niclas Günther und Carsten Wübbens. Das Esslinger Schachopen fand nach einer Pause dieses Jahr zum vierten Mal statt, und zwar in einer Sporthalle in Esslingen-Zell. Vier Freiberger, zwei Open, ein Ziel: Spaß am königlichen Spiel. Das Esslinger Open ist in A- und B-Turnier gegliedert und Matthias und Carsten lagen mit ihren Wertungszahlen in der „Sandwichzone“, sodass sie wählen konnten. Matthias entschied sich für die Herausforderung, im A-Turnier kämpferisches Schach zu spielen. Carsten ging in das B-Turnier, wo er seine jüngst zurückgewonnene Stabilität testen wollte. Bastian und Niclas traten ebenfalls im B-Turnier an und hatten so Gelegenheit, endlich wieder ein Turnier zu spielen, da sie bei der Stuttgarter Stadtmeisterschaft wenige Wochen zuvor (wir berichteten) nicht mitspielen konnten.

Insgesamt nahmen fast 150 Teilnehmer an dem siebenrundigen Turnier nach Schweizer System teil; 65 im A-Turnier, darunter ein Großmeister und 8 weitere Titelträger, und 83 im B-Turnier, das nach unten offen war und somit eine große Bandbreite an Spielstärken präsentierte. Gespielt wurde im Fischermodus mit 90 Minuten Bedenkzeit für die ersten 40 Züge, 30 Minuten Zuschlag bei Erreichen dieser 40 Züge sowie einem Bonus von 30 Sekunden je ausgeführtem Zug. Theoretisch können Partien so äußerst lang laufen, praktisch sind sie eher kürzer als im klassischen Modus, wo sie bis zu 5 Stunden dauern konnten.

Erschwert wurde der denkerische Wettkampf von etwas, das allgemein Anlass zur Freude bieten sollte: das gute Wetter. In großer Hitze, bei schwüler, drückender Luft mit 150 anderen in einer Sporthalle zu sitzen, die aufgrund des Lärms der Klimaanlage nicht klimatisiert werden kann und sich einer kognitiven Anstrengung auszusetzen, die sich über 3 bis 4 Stunden hinzieht und bei der fortlaufend Entscheidungen getroffen werden müssen, die bei kleinsten Ungenauigkeiten fatale Auswirkungen nach sich ziehen können, ist nicht einfach, weder für Kreislauf noch Denkvermögen. So kämpften alle Schachfreunde gleich gegen zwei Gegner: den am anderen Ende des Brettes und die eigene Kondition. Zu einem nicht unerheblichen Teil bestand das Turnier daraus, sich ausreichend mit Getränken, Nahrung und Abkühlung zu versorgen. Doch auch das zieht Schwierigkeiten nach sich: Wenn der Gegner zieht, sobald man die Halle verlässt, verliert man wertvolle Bedenkzeit.

Die anspruchsvollen klimatischen Bedingungen trugen sicherlich zum Verlauf des Turniers bei. Besonders Matthias im A-Turnier war schwer davon getroffen. Nicht hundertprozentig in Form stand er schwierigen Gegnern gegenüber: Selbst die schwächsten Spieler des A-Turniers wären im B-Turnier Anwärter auf die vordersten Plätze gewesen. Daher sind seine erspielten 1½ Punkte in Form von drei Remis keine realistische Aussage über seine Turnierleistung. In vielen Partien hatte er ausgeglichene oder bessere Stellungen, die er auf des Messers Schneide balancieren musste.

Einen ähnlich schweren Stand hatte Niclas im B-Turnier. Durch Lospech musste er sich in der ersten Runde sogleich seinem Vereinskameraden Carsten stellen, der sich mit über 300 DWZ-Punkten mehr unbedingt durchsetzen wollte. Die Partie entpuppte sich aber als wechselhafter, als man bei solch einem Spielstärke-Unterschied annehmen möchte. Zunächst kam Carsten in der Eröffnung leicht in Vorteil, Niclas verteidigte jedoch exakt. Dann aber ging er zu einem fehlerhaften Gegenangriff über, der Carsten eine sichere Mehrfigur eingebracht hätte – wenn er es denn gesehen hätte. Stattdessen gewann er einen Bauern und verlor die Stellung. Zumindest theoretisch, denn wenngleich die Position von beiden als verloren erkannt wurde, bedurfte sie nach Carstens verzweifelter Verteidigung eines mutigen Läuferzuges, der nur durch eine Vielzahl taktischer Optionen möglich war. Niclas traute dem nicht und zog sich etwas zurück. Diese Atempause reichte Carsten, um in höchster Zeitnot seine Stellung zu verbessern. Im anschließenden Schwerfigurenspiel trug seine größere Erfahrung ihn gerade so zum 40. Zug und zum Damentausch. Im Turmendspiel konnte er sich dann durch seine Mehrbauern behaupten.

In den folgenden sechs Runden erkämpfte Niclas gegen überwiegend stärkere Spieler 2½ Punkte. Damit blieb er zwar hinter seinen Erwartungen zurück, aber etliche Partien standen Spitz auf Knopf und ohne den Stress des Abiturs wären hier mehr Punkte rausgesprungen.

Für die beiden übrigen Freiberger lief das Turnier hingegen sehr erfolgreich. Carsten konnte sich auch in der zweiten und dritten Runde gegen seine schwächer gewerteten Gegner durchsetzen und spielte in der vierten Runde gegen den Zweitgesetzten an Brett 1 um die alleinige Turnierführung. Mit Weiß lavierte er eine geschlossene Stellung so lange mit Turmzügen, bis Schwarz einen Fehler machte und eine Qualität verlor. Carsten öffnete die Stellung und verbesserte seine Figurenaktivität, doch Schwarz verteidigte sich zäh und vermied jeglichen Figurenabtausch. In Zeitnot und 13 Züge vom rettenden 40. Zug entfernt unterlief Carsten ein Fehler, der seine Rochadestellung und somit seine Siegchancen ruinierte, sodass er sich auf Remis einlassen musste. Allerdings war damit noch nichts entschieden, denn bis zur Finalrunde gelang es keinem der Spitzenspieler, sich abzusetzen. So standen sich in der 7. Runde ganze elf Spieler mit 4½ Punkten gegenüber, verfolgt von etlichen Spielern mit 4 Punkten. In dieser Situation konnten sich vier Spieler behaupten und 5½ Punkte erlangen, darunter auch Carsten, der eine äußerst positionelle Partie mit Weiß gegen einen altbekannten Gegner führte. Für einen Platz auf dem Treppchen reichte es jedoch nicht, da seine frühen Gegner zu wenige Punkte gesammelt hatten und so die anderen 5½-Spieler mit der besseren Buchholz-Wertung vor ihm lagen. Über den 4. Platz konnte sich Carsten aber dennoch freuen: Sein Ziel von 5 Punkten ist übertroffen, er hat mit 4 Siegen und 3 Remis eine saubere Bilanz und das beste Turnier seit fast zwei Jahren gespielt. Obendrein hat er erstmals die 1700-DWZ-Marke geknackt.

Zu noch einträglicherem Ruhm gelangte Bastian, der ein ähnlich starkes Turnier hinlegte und sich mit 4½ Punkten ohne Niederlage auf Platz 18 niederließ. Angesichts seiner längeren Turnierpause und des hohen Gegnerniveaus ist das eine bemerkenswerte Leistung. Damit gewann er den Ratingpreis für den besten Spieler unter 1500 DWZ und ein hübsches Preisgeld. Ein solcher Erfolg wird in Zukunft wohl nicht mehr möglich sein, denn nun liegt er deutlich über 1500 Punkten.

Insgesamt verlief das Turnier harmonisch, störungsfrei, gut versorgt (Kuchen!) und fair. Auch das Wiedersehen mit alten Bekannten trug zum Spaßfaktor bei. In Summe haben die vier Freiberger 108 DWZ-Punkte gewonnen, wobei der Löwenanteil mit 88 Pluspunkten auf Bastian entfällt. Wie immer bleibt am Ende nur, den Organisatoren und Helfern vom TSV/RSK Esslingen zu danken, sich über die Erfolge zu freuen und im Training aus den Fehlern zu lernen.

Die Schachfreunde im Überblick:

Matthias SteinhartA-Turnier1½ Punkte (-28 DWZ)
Carsten WübbensB-Turnier5½ Punkte (+38 DWZ)
Bastian Friedl4½ Punkte (+88 DWZ)
Niclas Günther2½ Punkte (+10 DWZ)

Carsten Wübbens

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